Nummer 31 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

In Serbien wird vor der Drucklegung dieser Ausgabe eine öffentliche Debatte über Verfassungsänderungen abgeschlossen worden sein. Die Analysen des Änderungstexts in dieser Nummer zeigen, wie das Völkerrecht in den Raum der nationalen Verfassunggebung eindringt und sie zu einem Standard führt, der Regionalismus und Universalität vereint. Allein die Tatsache, dass die Verfas sungsänderungen vom Prozess der europäischen Inte gration inspiriert und die konkreten Lösungen nach den Anforderungen europäischer Normen formuliert sind, beweist, dass das Völkerrecht in die bisher ausschließlich nationale Zuständigkeit, nämlich die Verfassunggebung, einfließt. Dabei kommt es zu einer (völker-)rechtlichen Intervention eigener Art, welche die nationale Verfassung „zivilisiert“.

In Serbien zeigt sich an den Diskussionen, welche die Änderungen begleitet haben, dass die Zusammenführung von Recht und Politik eine zivilisierende Kraft hat, und zwar in dem Maße, dass die internationalen Standards für die Organisation der Gerichtsbarkeit in die nationale Verfassung aufgenommen werden. Diese Substanz des „Politischen“, die die Fähigkeit einer demokratisch le gitimierten Macht zur Entscheidung und zur Gestaltung darstellt, setzt den Rahmen. Die Exekutive muss sich an sie halten. Wenn „muss“ gesagt wird, meint man nicht die faktische Zwangsordnung, sondern die normativ projizierten Werte, die in der konkreten politischen Kultur gelernt werden. Jeder neue Schlag gegen das reale System (ein gutes Beispiel dafür ist Bosnien und Herzegowina), das sich auf eine große und nationalistisch stär kere Elite stützt, zeigt, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ein zivilisatorisches Element (ein internationaler Standard) verpflichtet die nationale Staatsgewalt zur Einhaltung der auf internationaler Ebene festgelegten Regeln. Denn die Inhaber des Monopols der nationalen Staats gewalt werden von internationalen und transnationalen Institutionen sanktioniert, falls sie von diesem System abweichen.

Selbstverständlich versucht die ausführende Staatsgewalt, nicht nur in Serbien, zu betrügen, indem sie die wirkliche Bedeutung internationaler Standards verbirgt, Dokumente von internationalen Einrichtungen fälscht oder Positionen für die langfristige Kontrolle der Justiz in das Verfassungsrecht inkorporiert. Im vorliegenden Fall leitete den Antragsteller des Änderungsantrags die Idee, dass die Venedig-Kommission europäische Standards formulierte und er dann selektiv die Empfehlungen, die die Lösungen des Änderungsvorschlages rechtfertigten, anwenden könnte. In Bosnien und Herzegowina umgehen Legislative und Exekutive seit Jahren gemeinsam die Verpflichtung, verfassungsrechtliche Lösungen mit Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen. Die Gerichtsbarkeit wird seit Jahrzehnten nur punktuell reformiert, jedoch ohne eine umfassende Selbstreflexion, die als Resultat eine Reform des gesamten Systems haben könnte. Auch hier täuscht die Exekutive, indem sie in Zusammenarbeit mit der Gesetzgebung den Status quo aufrechterhält. All dies liegt einem Staat zugrunde, der sein Verfassungsprovisoruim auf der Grundlage einer international vereinbarten Verfassung aufrechterhält, einer Verfassung, deren Vereinbarung nur durch einen Notstand gerechtfertigt werden kann.

Es scheint jedoch nicht, dass es Wohlfahrtsmodelle gibt, die unabhängig von den internationalen Beziehungen funktionieren. Der „internationale Standard“ als Modell der rechtlichen Gestaltung der nationalen politischen Herrschaft bringt eine Zivilisierung der nationalen Staatsgewalt. Mit anderen Worten, die vom Volk gewählte Staatsgewalt muss die international anerkannten rechtlichen Standards einhalten. Den Juristen, insbesondere den Richtern, vor allem jenen der Verfassungsgerichte, kommt die wichtigste Rolle zu: Sie haben in der ganzen Region die Verpflichtung, Verfassungsänderungen wachsam zu verfolgen und Impulse zur Erhöhung des Niveaus der realen Rechtsstaatlichkeit zu geben. In dieser aufklärerischen Rolle finden sich auch Gründe für den Konflikt mit der ausführenden Staatsgewalt, ohne den sich die Forderung nach der Anpassung der Verfassungssysteme an die europäischen Standards unabhängiger Justiz- und Rechtsstaatlichkeit, nicht durchsetzen lässt. Das Kompetenzzentrum für Öffentliches Recht wird, wie mit dieser Ausgabe so auch in Zukunft, darauf bestehen, das öffentliche Recht nach jenen Normen zu gestalten, die als Teil der europäischen Verfassungskultur gelten. Vor allem, wenn demokratisch legitimierte nationale Staatsgewalten diese umgehen.

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