Nummer 28 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

Négationnismein Frankreich, etwas seltener Negationismin England und, sehr selten, Negationismusin Deutschland zeigen die Leugnung von Völkermord. Der Begriff wird dem französischen Historiker und Spezialisten für die Geschichte des 20. Jahrhunderts Henry Rousso zugeschrieben, der den Inhalt etwas anders als den deutschen Ausdruck Holocaustleugnung definierte: Die Negierung bezieht sich nun nicht nur auf die Leugnung, grobe Verharmlosung oder Relativierung des Holocaust, sondern auch auf die Leugnung und Minimierung aller Genozide und Demozide. In europäischen Staaten sind die Negierung des Völkermordes an den Armeniern und der Völkermord in Srebrenica Gegenstand von Gerichtsentscheidungen und Strafverfolgungen.

Artikel 6 des Zusatzprotokolls des Europarates zum Übereinkommen über die Internetdelikte sieht vor, dass jedes Mitglied solche legislativen Maßnahmen umsetzt, um mit dem nationalen Strafrecht die Verbreitung durch Computersysteme zu verhindern, durch welche Völkermord für ungültig erklärt, gebilligt oder gerechtfertigt wird. EU-Mitgliedstaaten sind seit 2008 aufgrund des Rahmenbeschlusses verpflichtet, die öffentliche Billigung, Leugnung oder grobe Verharmlosung von Völkermord zu vefolgen. Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (2007) verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, die öffentliche Verharmlosung, Leugnung oder Verharmlosung von Massenmord als Straftatbestand vorzusehen. In Belgien, Frankreich, Österreich, Luxemburg, Polen, Tschechien, Spanien, der Schweiz und Rumänien ist Leugnung nach bestimmten Gesetzen, in Deutschland, Liechtenstein und auch Luxemburg nach dem Strafgesetzbuch strafbar. In Frankreich und Spanien wurde die Strafbarkeit der Leugnung aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Recht der Freiheit auf Meinungsäußerung für verfassungswidrig erklärt. In der Föderation BiH stellt die öffentliche Leugnung oder Rechtfertigung des Völkermordes von Srebrenica eine Straftat dar. Ebendort wurde im parlamentarischen Verfahren ein Vorschlag zur Inkriminierung der Leugnung des Völkermordes ein gebracht. In der Republika Srpska gibt es, wie es scheint, einen politischen Konsens darüber, dass die Leugnung des Völkermordes in Srebrenica kein Delikt darstellt. Politische Funktionäre definieren sich hier regelmäßig als Vertreter des serbischen Volkes und leugnen in seinem Namen den Völkermord.

In dieser Leugnung steckt eine moralische und eine philosophische Aporie. Mit Verlaub, auf der einen Seite steht die moralische Zustimmung der Verurteilung des Völkermordes und die Unabwendbarkeit der Bestrafung für Völkermord. Auf der anderen Seite werden die Täter geschützt und man plädiert für Straflosigkeit des Genozids. Die Verurteilung wegen Völkermordes stellt also einerseits die individuelle Schuld des Täters fest und amnestiert das Volk, in dessen Namen die Ideologie Völkermord begangen wird. Andererseits erklärt sich mit der Leugnung des Völkermordes im Namen des Volkes das Volk für den Völkermord kollektiv verantwortlich. Aus dieser Aporie kommt man nicht dadurch, dass man den Genozid politisch leugnet, heraus. Denn jede Leugnung erinnert an die Summe der Erkenntnisse, die in die Feststellungen zur Verurteilung wegen Völkermordes einfließen. Völkermord lebt eigentlich von der Stärke der Leugnung und damit wird die kollektive Schuld der Täter und die Unmoral der konkreten Politik am stärksten markiert.

Man muss beachten, dass der Massenmord in Srebrenica verübt wurde, nachdem das Verbot von Völkermord als jus cogensdefiniert war, nachdem also Völkermord als Straftat definiert wurde. Daraus folgt, dass der genozide Charakter von Massenmord nicht von historiographischen Interpretationen und theoretischen Beurteilungen bestimmt wird, dass es nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung geht. Hier stehen hinter dem Wort Völker mord ein sorgfältig geführtes Beweisverfahren und gerichtliche Feststellungen. Die Inkriminierung der Leugnung des Völkermordes von Srebrenica gleicht einem Verbot der Leugnung gerichtlicher Entscheidungen und nicht der Meinungsäußerung. Die Inkriminierung der Leugnung ist daher die Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeit. Hier liegt der Weg aus diesen Aporien: Der praktischen Politik wird mit der Inkriminierung Gelegenheit gegeben moralisch zu sein, damit sich das Volk, das sie vertritt, aus dem Odium der kollektiven Verantwortung für Völkermord befreit.

Werden die Verantwortlichen diese Chance verstehen?

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