Nummer 13 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden
Schweigen ist eine Form der nonverbalen Kommunikation: Es wird nicht gesprochen und es werden keine Laute erzeugt. Schweigen setzt jedoch die Fähig keit zum Sprechen voraus, zumal es ein bewusster kommunikativer Akt ist. Schweigen kann ein Zeichen von gespannter Aufmerksamkeit sein, Redner verwen den sie um eine These zu überdenken, im Theater wird geschwiegen, um sich auf das Schauspiel zu kon zentrieren oder um die handelnden Personen nicht zu stören. In manchen Berufen ist die Verpflichtung zum Schweigen ein Bestandteil des Berufes, und überall haben Angeklagte das Recht „zu schweigen“. In Rechtsordnungen bedeutet Schweigen nicht per se „ja“ oder „nein“ — es ist das Gegenteil von der aus drückten Haltung und erklärt den Willen. Der alte Rechtsgrundsatz „Wer schweigt, wo er (wider)spre chen sollte und konnte, dem wird Zustimmung unter stellt“ („qui tacet consentire videtur, ubi loqui debuit atque potuit“; Papst Bonifatius VIII.) gilt allgemein im Recht nur ausnahmsweise in einigen Fällen des „nor mierten Schweigens“, „beredten Schweigens“ und bei Handels-gesellschaften unter Kaufleuten.
Das Kompetenzzentrum für Öffentliches Recht hat in diesem Jahr von der Bearbeitung zweier Themen Abstand genommen: einerseits von der Bearbeitung des Staats-eigentums und andererseits des Hohen Rates für Justiz und Staatsanwaltschaft. Der Grund dafür ist einfach: für jedes Thema hat sich von hunderten eingeladenen An-wälten, Richtern, Wissenschaftern, Juristen aus Ministerien und Professoren nur jeweils ein Referent ange-meldet. Das Staatseigentum ist eine offene Frage in BuH, die mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts von BuH lediglich initiiert wurde, während die Erörterung des Themas des Hohen Rates für Justiz und Staats-anwaltschaft eine gründliche Auseinandersetzung und Bewertung der Strukturen dieser Einrichtung und der immer offensichtlicheren Praxis voraussetzt, dass sie ihre eigenen Ansichten nach den Ideologemen der Politiker der Republika Srpska formuliert. Beide Themen haben eine bestimmte Haltung der Juristen provoziert, die eigentlich fachliche Lösungen hätten anbieten sollen. Letztlich hat sich Schweigen eingestellt.
Diese Form der nonverbalen Kommunikation ist heute charakteristisch für die bosnisch-herzegowinischen Juristen, sie bilden Gemeinschaften des Schweigens. Die Probleme, über die geschwiegen wird, stellen sich als dramatisch dar und können hier nur ansatzweise aufgezählt werden: der institutionalisierte Druck der Politiker, der außerinstitutionelle Druck des Strukturdialogs, die unfertige Reform des Justizwesens und die dilettantische Ablehnung eines Obersten Gerichts, Karrierestreben und politische Korruption. Hinzu kommt, dass sich die Juristen mit den bestehenden Systemen abgefunden haben. Die Zustimmung oder Ablehnung einer Lösung kann letztlich nur aus der konkreten Situation heraus verstanden werden. Erinnern wir uns noch einmal an das bekannte Zitat von Papst Bonifatius VIII.; „Qui tacet, con sentire videtur“ („Wer schweigt, scheint zuzu stimmen“). Er drückte sich vorsichtig aus; denn es könnte ja sein, dass beispielsweise jemand zum Schweigen gezwungen wird. Etwas moder ner und mit einem rechtlichen Unterton hat das Thomas Hobbes in seinem 1650 veröffentlichten Buch „The Elements of Law“ ausgedrückt, Schweigen könne man als Zeichen von Zustimmung auslegen, denn es sei ja so leicht, nein zu sagen, wenn man nicht zustimme.
Stimmen demnach also die Juristen einem Diktat der Politik zu, die in einem rechtlichen Vakuum jede beliebige Idee als Recht erscheinen lassen will? Dürfen Juristen über den Gegenstand ihrer Arbeit schweigen?