Nummer 27 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

Das Kopftuchverbot in den Gerichten von Bosnien und Her-zegowina (BiH) war Teil einer Debatte, die gezeigt hat, dass die bosnisch-herzegowinische Öffentlichkeit nicht in der Lage ist, sich mit der rechtlichen Perspektive von religiösen Symbolen im staatlichen Raum auseinanderzusetzen (siehe dazu die Publikation des KÖR Vjerski simboli u sudovima?, Sarajevo 2016). Vor kurzem hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in zwei Fällen zum religiös motivierten Tragen des Kopftuchs in privaten Unternehmen sein Urteil gefällt und damit die Kriterien für die Beurteilung von religiösen Symbolen im privaten Sektor festgelegt.

Aufgrund des religiös motivierten Tragens des Kopftuches haben eine Rezeptionistin aus Belgien und eine IT-Expertin aus Frankreich ihren Arbeitsplatz verloren. Sie haben vor den nationalen Gerichten ein entsprechendes Verfahren ein-geleitet, weil sie sich von ihrem Arbeitgeber aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert fühlten. Vor dem EuGH wurde im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Auslegung der EG-Richtlinie bezüglich des Verbots der direkten Diskriminierung diskutiert (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000).

Im ersten Fall arbeitete Samira Achbita drei Jahre als Rezeptionistin in einem belgischen Sicherheitsunternehmen. Das Kopftuch hat sie zunächst in ihrer Freizeit getragen, dann hat sie sich auch für das Tragen während der Arbeitszeit entschieden. Dies stand in Widerspruch zu einer internen Arbeitsordnung des Unternehmens: „Es ist den Arbeit-nehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeden Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen“. Kurz darauf wurde die Arbeitnehmerin mit entsprechender Abfindung entlassen. Der EuGH ist der Auffassung, dass es sich unter diesen Umständen nicht um eine unmittelbare, aber möglicherweise um eine mittelbare Diskriminierung handeln kann, dass es sich somit also um eine Regelung handelt, die Mitglieder einer bestimmten Religion oder Weltanschauung betrifft bzw. sie in eine schwierigere Lage als andere religiöse oder nicht-religiöse Mitarbeiter bringt. Eine solche Diskriminierung ist, so der EuGH, gerechtfertigt, wenn in Bezug auf den Kundenkreis des Unternehmens die politische, philosophische oder religiöse Neutralität bewahrt werden muss. Relevant ist zudem die Frage, ob das Verbot des Hervorhebens religiöser, philo so-phischer oder weltanschaulicher Symbole für die Anwendung der Neutralitätspolitik des Unternehmens geeignet ist. Das nationale Gericht hat in dieser Hinsicht zu prüfen, ob das Unternehmen vor der Entlassung von Frau Achbita für ihre Beschäftigten mit Kundenkontakt eine allgemeine und un-differenzierte Politik des Verbots eingeführt hatte, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen, und ob die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Vor dem nationalen Gericht wird sich die Frage stellen, ob für die Arbeitnehmerin statt einer Entlassung eine andere Position möglich gewesen wäre, in der sie keinem Sichtkontakt ausgesetzt gewesen wäre, um damit die Neutralität des Unternehmens zu bewahren und das Unternehmen somit nicht zusätzlich belastet wäre.

Der zweite Fall betrifft die Muslimin Asma Bougnaoui, die weniger als ein Jahr als Software-Designerin in einem französischen Unternehmen tätig war und ihren Job wegen der Entscheidung eines Kunden, nicht die Dienste von einer Person mit einem muslimischen Kopftuch in Anspruch nehmen zu wollen, verloren hat. Sie lehnte die Bitte des Un-ternehmens ab, am Arbeitsplatz vom Tragen des Kopftuches Abstand zu nehmen, und wurde entlassen. Der EuGH hat entschieden, dass das Verbot von Kopftüchern an sich nicht gerechtfertigt ist, wenn es ausschließlich auf dem Willen oder dem Antrag eines Klienten des Unternehmens beruht. In diesem Fall blieb unklar, ob das Tragen des Kopftuches gegen die internenen Unternehmensregelungen verstoßen hat. Das zuständige französische Gericht hat dies nun zu prüfen.

In den meisten EU-Ländern ist das Tragen des Kopftuches am Arbeitsplatz nicht verboten, aber Grenzen sind möglich. Die nationalen Gerichte werden in strittigen Fällen der Rechtsprechung des EuGH nachzukommen haben: Arbeitgeber dürfen das Tragen des Kopftuches verbieten, wenn die Hervorhebung religiöser Symbole im Unternehmen in den internen Richtlinien verboten ist und es gute Gründe dafür gibt. Wünsche der Kunden der einzelnen Unternehmen sind keine ausreichenden Gründe für ein Verbot. Die Urteile sind also auch für BiH nicht bindend, stellen aber eine nützliche Orientierung für den Umgang mit religiösen Symbolen im privaten Sektor dar.

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