Nummer 21 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden
In Punkt 4 der BKS-Version des Brüsseler Protokolls vom 10. Oktober 2015 bekunden die Justizminister ihre Bereitschaft nach Abschluss der rechtlichen und institutionellen Reformen die staatliche Strategie für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zu ändern und zu ergänzen, dies „vor allem in Bezug auf die Feststellung von jämmerlichen Fristen für die Umsetzung“. Hier kann man sich einfühlen, insbesondere was die „jämmerliche Fristen“ angeht.
Man wird wahrscheinlich nie erfahren, ob die Rede von einer Lücke ist und wie die Fristen immer jämmerlicher werden. Aber schon das Adjektiv „jämmerlich“ kommt zum richtigen Zeitpunkt und zum richtigen Dokument. Worte sind manchmal klüger als ihr Kontext und ihr Autor: Gibt es wirklich etwas Elenderes für alle Strukturen der Justiz als die Situation, dass Justizminister über ihr Schicksal entscheiden, zB der Justizminister Josip Grubeša, der weder Jurist ist noch eine rudimentäre juristische Ausbildung hat, oder Anton Kasapović, aus einem Ministerium, das nach dem neuesten Prüfungsbericht wie ein aus subventionierten Taschendieben bestehendes Unternehmen agiert hat? Ist es nicht eine armselige Situation, dass die Justizreform von EU-Diplomaten geführt wird, die das System entweder nicht verstehen oder es in einem nicht-rechtlichen Vakuum behalten wollen, damit jeder willkürlichen Entscheidung der politischen Klasse der Status eines Gesetzes oder Rechts zuerkannt wird? Was kann einen Juristen in eine schlechtere Lage bringen als die Tatsache, dass an der Spitze des VSTV, dem Körper der über ihre Kompetenzen entscheidet, ein Jurist mit äußerst bescheidenem Wortschatz, schlechter Ausbildung und schlechter Karriere, aber mit eindrucksvollem medial-biografischen Gerüst aus der Grauzone der Legalität vorsteht?
Jeder kann sich die Situation vorstellen, in der das Justizministerium unter der Leitung von ausgebildeten und hochmoralischen Juristen geführt wird, von Juristen, die die Erfahrung der akademischen und justiziellen Arbeit verbinden und politische Willkürlichkeiten von unstrittigen Rechtsnormen zu unterscheiden können. Ist es so unvorstellbar, dass in Bosnien die Auswahl und Bewertung von Richtern von einem Organ durchgeführt wird, dessen Mitglieder an einer unabhängigen und kompetenten Rechtsprechung interessiert sind, dass die Disziplinarkommission von einem erfahrenen Juristen ohne eigene Ambitionen in der Justiz geführt wird? Ist es tatsächlich unmöglich das eigene Land als Teil einer allgemeinen menschlichen Gesellschaft zu sehen, die die etablierten Rechtsgrundsätze im Gleichgewicht mit der Rechtswissenschaft angewendet wissen will? Doch in einem solchen Zustand könnte kein Politiker, geleitet von der Überzeugung im Einklang mit den Wünschen und dem Willen des Volkes zu handeln, die obersten Gerichten und Justizbehörden des Landes über die Kompetenzverteilung, über die Organisation der Gerichte oder der Verfolgung von Straftaten ungestraft belehren, somit über ihm unbekannte Dinge. In einem solchen Land könnten EU-Diplomaten nicht „ungestraft“ in das Gebiet der Rechtswissenschaft eindringen und hinter sich Verwüstung und einen korrupten Staat als einzige Perspektive hinterlassen.
Dieses Land ist an die Daytoner Ordnung gekettet und in die totale Professionalisierung der Politik eingebracht worden. Dies zeigt sich an der Schirmherrschaft der Parteien, an den übermäßigen Ausgaben der öffentlichen Mittel für die politische Klasse, an der Bedienung der eigenen Wählerschaft zu Lasten der Allgemeinheit usw. Die Justizminister sind in einem solchen System Parteisoldaten, die ihre eigenen politischen Strukturen und begünstigende Lösungen, die die justizielle Unantastbarkeit ihrer politischen Mentoren sicherstellen, schützen. Der Bereich der Rechtsreformen darf nicht der ministeriellen Verwaltung und der EU-Diplomatie überlassen werden, weil sie meines Erachtens nach ein Ödland von Mittelmäßigkeit und Dilettantismus hinterlassen werden.
Alles, was im weitesten Sinne vom Wort Justizwesen umfasst ist, muss heute für die Verteidigung des Berufsstandes und der rechtlichen Standards aufstehen, indem es sich entweder individuell oder im Berufsverband bei der Umsetzung der Reformabsichten einbringt.
Edin Šarčević