Nummer 16 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

Diese Ausgabe erscheint zeitgleich mit dem zehnten Jahres tag der Gründung des Hohen Rates für Justiz und Staatsanwaltschaft von Bosnien und Herzegowina (HRJS BuH). Die Unabhängigkeit der Gerichte gehört in die Bilanz eines jeden Rechtsstaates und, was viel wichtiger ist, sie bildet die Voraussetzung für gesellschaftlichen Wohlstand. Unabhängigkeit wird durch die Beziehung zu politischen Strukturen, kurz gesagt, zu den Trägern der Staatsgewalt bedingt. Ein unabhängiges Gericht entscheidet nicht nach den Bedürfnissen der politischen Institutionen und Funktionären, sondern nach der Ratio des Gesetzes. An diese triviale Prämisse sollte erneut erinnert werden, da der Prozess der „Unterdrückung“ der dritten Staatsgewalt in BiH ständig präsent ist. Einen guten Ort für Kontrolle stellt die Auswahl der Richter und Staatsanwälte sowie die Auswahl und Zusammensetzung des Körpers, der sie wählt, dar.

Der zehnte Jahrestag der Gründung des HRJS BuH wird von der Forderung begleitet, sowohl die Auswahl der Richter als auch die Zusammensetzung und die Wahl des HRJS BuH selbst zu reformieren. Genau hier treffen zwei Konzepte aufeinander: Das erste Konzept wurde vom Justizministerium von BiH mit dem Vorschlag artikuliert, dem Ministerium (der Politik) den Vorrang zu sichern, das zweite, das den Richtern (der Fachwelt) den Vorrang gibt, wurde vom HRJS BuH artikuliert. Obwohl beide Modelle auf vernünftigen Grundlagen basieren, die rechtsvergleichende Lösungen beinhalten, scheint das entscheidende Argument in der bosnischen Demokratie zu liegen. Entscheidungen der parlamentarischen Gremien in BiH hebeln die Grundvoraussetzung der demokratischen Entscheidungsprozesse — die Mehrheits entscheidung — aus. Es ist ein demokratisches Modell, das nicht mit der rechtsstaatlichen Vorstellung von der Geltung allgemeiner Gesetze, welche den volonté genéralé ausdrücken, gleichgesetzt werden kann. Einer solchen Demokratie ist daher nicht zu trauen: Die institutionelle Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit muss unter dem beherrschenden Einfluss der Fachwelt (Richter/Staatsanwälte) bleiben.

Zum Jubiläum ist es sinnvoll über die Mitglieder des HRJS BuH und über das Disziplinarverfahren nachzudenken. Obwohl man, außer in Ausnahmefällen, am Ende seiner Karriere von diesem Phänomen nicht öffentlich spricht, ist es bekannt, dass die Mitgliedschaft in diesem Gremium für die persönliche Karriereentwicklung eingesetzt wird. Nur eine geringe Zahl von Mitgliedern des HRJS BuH gehen auf jene Position zurück, von der sie gekommen sind. Die Mitgliedschaft wird als Vorteil bei der Einstellung und Beförderung zu höheren Ebenen, sogar als eine große Möglichkeit für die Beschäftigung von Verwandten, Freunden oder politischen Gleichgesinnten wahrgenommen. Mitglieder, die Anwälte sind, können sich sicher sein, dass sich die Quote der von ihnen gewonnen Verfahren erhöhen wird. Das Disziplin-arverfahren gilt heute unter den Richtern als Mittel zum Ausschalten aller Kritik des HRJS BuH, von den Bürgern wird es als aussichtsloses bürokratisches Verfahren wahrgenommen. Die Reform dieses Gremiums wird nicht nur das am besten geeignete Modell auswählen, sondern auch genau diese Elemente berücksichtigen müssen.

Aus diesem Grund sollte man sich noch einmal an die kroatische Lösung erinnern, wonach die Mitglieder des staatlichen Justizrates weder für eine Tätigkeit an einem höherinstanzlichen Gericht noch für die Tätigkeit als Gerichts­präsident vorgeschlagen werden können, solange sie dem Justizrat angehören. Diese Bestimmung sollte angesichts der Unternehmens­bzw. Familienstrukturen, die in der bosnischen Justiz vorherrschen, an die örtlichen Bedingungen angepasst, durch analoge Einschränkungen für Blutsverwandtschaft und Heirat ergänzt und um eine zeitliche Beschränkung des Mandates erweitert werden. Der Reform der Auswahl der Richter und Staatsanwälte muss eine Reform des Disziplinarverfahrens mit einer Präzisierung der Rechte der Mitglieder des HRJS BuH folgen. Eine genaue Identifizierung der Schwachstellen kann nur von „innen“ kommen — die Richter sind am Zug! Ein neues Gesetz und eine neue Zusammensetzung des HRJS BuH sind dringend nötig.

Edin Šarčević

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