Erste Doppelnummer der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

Die Blätter für Öffentliches Recht veröffentlichen Analysen öffentlich-rechtlicher Probleme und Verfahren. Die Analysen sind im Rahmen der Stiftung Kompetenzzentrum für Öffentliches Recht entstanden, welches mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes der BR Deutschland aus Mitteln des Stabilitätspaktes für Südosteuropa gegründet worden ist. Das Kompetenzzentrum fokussiert sich in seiner Arbeit auf die Region Südosteuropa (Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien, Montenegro). Der Schwerpunkt der Analysen liegt auf Bosnien und Herzegowina, da  hier die öffentlich-rechtlichen Institutionen und generell die öffentlich-rechtlichen Regulierungen das schwerwiegendste Hindernis für den gesellschaftlichen Fortschritt darstellen.

Derartige Analysen sind heute notwendig, da sich das öffentliche Recht in der gesamten Region in einem Reformprozess befindet. Dieser ist mehr durch internationale Diktate und Forderungen nach rechtlicher Integration bedingt, als durch nationale Projektionen der Reformerfordernisse. In Bosnien und Herzegowina zeigen sich alle bedeutenden Eigenschaften dieser Tendenz: Einerseits in dem Druck seitens des Europarats und den rechtlichen Anforderungen, die sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Sejdić/Finci ergeben und andererseits in der Forderung der Europäischen Union nach der Reform des Rechtssystems. Eine solche Forderung beinhaltet vor allem ein reformiertes Verfassungsrecht, sowie die Anpassung des politischen Systems an international anerkannte Standards des öffentlichen Rechts.

Gegenwärtig ist klar, dass sich dieser Prozess, wenigstens in Bosnien und Herzegowina, nicht nach der Logik der selbstverständlichen Erfordernisse entwickeln lässt und nicht ohne Schwierigkeiten vollzogen werden wird. Dies hat sich am besten an den außerparlamentarischen und parlamentarischen Verfahren gezeigt, die die bisherigen Versuche begleitet haben, das Verfassungsrecht Bosnien und Herzegowinas an die Erfordernisse einer effizienten Organisation der Staatsgewalt anzupassen. Diese wurden mit Unterstützung der internationalen Vermittler durchgeführt und ihr Misserfolg kann nicht ausschließlich auf die internationale Präsenz in einer exklusiven nationalen Arena reduziert werden. Bedeutende Gründe für den Misserfolg liegen dennoch in der starken institutionellen Verwachsung der politischen Eliten  und bürokratischen Strukturen  mit dem existierenden Verfassungsmodell. Es wäre zu naiv zu erwarten, dass die Bürokratie und die politische Nomenklatura, die sich ohne einen sichtbaren Beitrag zum sozialen Fortschritt  seit Jahren durch die parlamentarischen Prozeduren schleppt, das Verfassungssystem abschaffen werden, von dem sie leben.

Zu Verfassungsänderungen, die auf den bestehenden Prämissen den bosnisch-herzegowinischen Staat in eine politische Praxis der Sicherstellung von sozialem Wohlstand führen werden, wird es mit Sicherheit nicht kommen. Der Reformweg ist durch ein Regieren im Namen des Volkes versperrt, welches den staatlichen Raum in eine nicht-synchronisierte Konkurrenz verschiedener „Volkswillen“ überführt und den Wohlstand des einen Volkes an die Entrechtung des anderen knüpft.

Den Schwerpunkt der ersten Doppelausgabe der Blätter bildet die anstehende Reform des Verfassungsrechts Bosnien und Herzegowinas. Manfred Dauster analysiert den allgemeinen verfassungsrechtlichen Rahmen und die „Schwachstellen“ der Verfassungsstruktur, die sich im Vergleich mit den normativen Rechtsprinzipien als rechtliche Widersprüche erweisen. Daran schließt sich eine „Modellsimulation“ einer  Verfassungsänderung gemäß den Entscheidungsprämissen Sejdić/Finci an, samt einer Auflistung von Vorschriften, die im ersten Durchgang geändert werden müssen; die Autoren sind die Mitarbeiter des KÖR Nedim Kulenović, Inja Hadžžialić-Bubalo und Mirza Korajlić. Die Analyse von Faris Vehabović untersucht das Problem der Kompatibilität von programmatischen Zielen der politischen Parteien mit der Verfassungsreform. Er zeigt, dass die politischen Parteien  die Änderungen jener Verfassungsvorschriften, ohne welche eine Verfassungsreform nicht durchgeführt werden kann, im Grundsatz nicht unterstützen. Daran schließen sich Analysen zu den Themen des Problems der Reform des Rentensystems (Sanel Karađuz) und der Schwachstellen der gesetzlichen Regelung über öffentliche Anschaffungen, besonders im Hinblick auf die Harmonisierung mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz (Rifat Zlomužžica) an.  Das letzte Thema ist als Repetitorium gedacht: Emina Hasanagić stellt die wichtigsten organisatorisch-technischen Charakteristika des Justizwesens dar und erinnert an die allgemeinen Stellen hinsichtlich der Zuständigkeit der Entitätsgerichte.

Die vorliegenden Analysen erheben nicht den Anspruch, endgültige Lösungen anzubieten.  Sie verweisen auf Schwachstellen der öffentlich-rechtlichen Ordnung und zeigen Anforderungen auf, welche rechtliche Standards an eine Reform des Öffentlichen Rechts stellen. Dabei sollte auch das wichtigste Ziel von Rechtsanalysen nicht vergessen werden: die Förderung einer Kultur des rechtlichen Diskurses zwischen ideologisch entgegen gesetzten (politischen) Blöcken.

Das Kompetenzzentrum ist in seinem Selbstverständnis von ideologisch neutralen  Expertisen öffentlich-rechtlicher Phänomene geleitet. Es bietet auf Fragen, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben, normativ ausgerichtete Antworten, die sich ausschließlich der Standards moderner Rechtswissenschaften und anerkannter öffentlich-rechtlicher Errungenschaften bedienen.

Da das Kompetenzzentrum seine Hauptaufgabe in der Etablierung von wissenschaftlichen Kriterien als Maßstäbe, nach denen sich das Öffentliche Recht gestalten muss, betrachtet, nutzen wir die Gelegenheit einer Einladung zur Zusammenarbeit: unsere Seiten und unser institutioneller Rahmen stehen für Mitarbeiter offen, die sich in dogmatisch begründeten und rechtlich ausgerichteten Analysen aktueller Probleme des Öffentlichen Rechts in unserer Region erproben wollen. Gern stellen wir unsere Ressourcen Analytikern aus den Ländern der Region zur Verfügung, die sich eingeladen fühlen, am Diskurs über öffentlich-rechtliche Probleme teil zu nehmen.

Das Kompetenzzentrum ist zugleich Ort für individuelle wie auch Gruppenberatungen und für Rechtsanalysen. Die erste Doppelausgabe  der Blätter für Öffentliches Recht illustriert eine Auswahl von Analysen, die als Muster für interessiertes Publikum dienen können. Unsere Experten bieten Antworten auf:

- Fragen der Organisation von staatlicher Gewalt und öffentlicher Verwaltung;

- Fragen hinsichtlich des Inhalts und der Anwendungen von Vorschriften der Europäischen Union sowie anderer international-rechtlicher Standards;

- Fragen der Verfassunggebung und der Auslegung von Verfassungsrecht;

- Alle verwandten Probleme aus den Bereichen des Parlamentarischen Rechts, des Wahlrechts, des Verwaltungsrechts;

- Fragen im Bezug auf die rechtlichen Aspekte des Europäischen Integrationsprozesses.

Edin Šarčević

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