Nummer 38 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden

Das Kompetenzzentrum für Öffentliches Recht feierte den 70. Jahrestag der deutschen Verfassung mit einer internationalen Fachtagung zum Föderalismus in Bosnien und Herzegowina. Das Thema wurde bewusst ge wählt: Negative Erfahrungen mit dem Föderalismus in Bosnien und Herzegowina wurden mit der positiven Bilanz des deutschen Föderalismus verglichen, umgemeinsame Positionen zur Weiterentwicklung des föderalen Modells in Bosnien und Herzegowina zu gewinnen.

Die Tagung zeigte zunächst, dass die wissenschaftliche Herangehensweise an den Föderalismus in Bosnien und Herzegowina mit ideologischen Ansichten belastet ist, die sich aus Kriegspositionen und Nachkriegs interpretationen sozialer und rechtlicher Tatsachen ergeben. Der staatsrechtliche Charakter der Doppelentität in Verbindung mit der Rechtsnatur des Krieges determiniert für Bosnien und Herzegowina wesentlich die Ansichten der Rechtswissenschaft und der Politikwissenschaft nach dem staatsrechtlichen Modell, das das Dayton-Abkommen begründet. Die Interpretation des Föderalismus bewegt sich damit zwischen den Standpunkten des reinen Positivismus und nationalromantischer Utopien. Die positivistische Betrachtungsweise stützt sich auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, in denen die Bedeutungen interpretiert werden, die keinen Kontakt zu sozialen Bewegungen und Ereignissen, mit ihrem politischen Hintergrund und ihren ethischen Elementen haben. Die utopische Betrachtung folgt theoretischen Modellen, über-springt reale Beziehungen und verfassungsmäßige Regeln und positioniert den bh. Föderalismus im Dunst der gewünschten Lösungen.

Es wurde weiterhinfestgestellt, dass die Standards des deutschen Staatsrechts nicht in den Duktus der von der „Regionalwissenschaft“ verwendeten Argumente passen. Ein solches Ergebnis ist zum Teil verständlich, da die Besonderheiten komplexer Zustände es unmöglich machen, etablierte Lösungen direkt zu übernehmen. Dennoch, die Standards des deutschen Staatsrechts sind zunächst sprachlich (z. B. unitarischer Bundesstaat, kooperativer Föderalismus, Bundestreue) und dann inhaltlich (z. B. Kompetenzverteilung und ungeschriebenes Verfassungsrecht als Regulator für föderale Beziehungen) eine Annahme für die Valorisierung des Modells eines mehrstufigen Staates. Diese Tagung bestätigte, dass es an einem geeigneten konzeptuellen Rahmen mangelt, der eine rationale Diskussion über den Föderalismus ermöglicht. Institutionen des deutschen Staatsrechts, diedurch die „lingua americana“ importiert werden, verlieren ihre präzisen Konturen und sind hier daher entweder unbekannt oder unbrauchbar.

Schließlichzeigte sich, dass das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina äußerst defensiv war und die Fragen des Föderalismus kasuistisch beantwortete. Es nutzte nicht eine Gelegenheit, um schriftliche und ungeschriebene Anordnungen zur Regelung der Bundes-beziehungen (z. B. Kollisionsregel, Inhalt der normativen Hierarchie oder Verpflichtung der Entität zur Loyalität gegenüber der Staatsverfassung) genau zu formulieren. Konsequenterweise hatte damit weder die Verfassungsnoch die Politikwissenschaft einen Rückhalt in der Rechtsprechung und konnte keine umfassende Doktrin des bh. Föderalismus entwickeln.

Alles in allem dokumentiert die diesem Thema gewidmete Ausgabe, dass der Föderalismus in Bosnien und Herzegowina ein offenes Problem ist, zu dem es weder inhaltlich noch historisch oder formalrechtlich eine Einigung gibt. In dieser Ausgabe stellen wir eine Auswahl von Tagungsabhandlungen dar, um die Leser mit der Breite der Themen vertraut zu machen, die sich aus dem Vergleich zwischen dem bosnisch-herzegowinischen und dem deutschen Föderalismus ergeben. Damit weisen wir allgemein auf die Sinnhaftigkeit des föderalen Systems in Bosnien und Herzegowina sowie auf die Vorund Nachteile der föderalen Struktur moderner Staaten hin. Übersetzungen deutscher Veröffentlichungen können von der Website des KÖR (www.fcjp.ba) heruntergeladen werden, zusammen mit Analysen, die nicht in dieser Ausgabe veröffentlicht wurden.

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