Nummer 23 der „Blätter für Öffentliches Recht“ zum downloaden
Nur wenige Beschlüße aus der jüngsten Rechtsgeschichte von BiH haben so viele Reaktionen verursacht wie der Beschluss des Hohen Justizrates (VSTV), religiöse Symbole in Gebäuden der bosnisch-herzegowinischen Gerichte zu verbieten. Der Grund dafür ist banal und die Reaktion unverständlich: ein unabhängigesBiH-Organ hat innerhalb seiner gesetzlichenZuständigkeit an die gesetzliche Verpflichtung erinnert, dass Gerichtsgebäude frei von religiösen, ethnischen und politischen Symbolen zu sein haben. Es folgten Vorwürfe der Diskriminierung und der Verletzung religiöser Rechte von Muslim/innen. Die dargelegten Argumente standen in keinem besonderen Zusammenhang mit der rechtlichen Perspektive des Problems und deshalb wurden starke und eindeutige Reaktionen von Juristen erwartet. Was folgte, waren aber nur defensive Aussagen der Mitglieder des Hohen Justizrates und vereinzelte juristische Zeitungs kommentare. Aus diesem Grund kann man auch nicht die recht-lichen Argumente formulieren, die mögliche Einschränkungen der Religionsfreiheit oder mittelbare Diskriminierungen rechtfertigen würden.
In jedem Fall können die gesetzlichen Bestimmungen über das Verbot des Hervorhebens religiöser Symbole ohne Schwierigkeiten mit der Notwendigkeit der Erhaltung von Ruhe und Ordnung am Gericht, mit der Forderung der Säkularität und Neutralität der staatlichen Gerichte, sowie mit der sug-gestiven Kraft religiöser Symbole, die in einer pluralistischenGesellschaft nicht dem Interessensausgleich zwischen Religionsgemeinschaften und der religiös neutralen Positionierung von Personen dienen, gerechtfertigt werden. Es ist wahr, der Beschluss stammt in den Augen der Parteien vor Gericht aus dem rechtlichen Rahmen, er hat aber ein akzeptables Modell für den Ausgleich der widerstreitenden rechtlichen Positionen festgelegt: des Rechts auf Religions-freiheit und dem Verlangen, Gerichte vor der Suggestivkraft religiöser Symbole zu schützen. Zu einer Verletzung von Menschenrechten kann es nur mit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung kommen, die das Tragen von konkreten Symbolen verbietet bzw. Disziplinarmaßnahmen oder Entlassungen bestätigt, aber nicht durch den Beschluss selbst. Dies bedeutet, dass der Beschluss für sich nicht den Charakter einer endgültigen Entscheidung hat, mit der Menschenrechte verletzt werden, er aber Kriterien formuliert, mit deren Hilfe ein Verfahren zur Verbannung von religiösen Symbolen ausgestaltet ist, in extremen Situationen auch in Bezug auf Parteien vor Gericht. In jedem Einzelfall wird – so fordert es der Beschluss – zu entscheiden sein, welcher rechtlichen Position der Vorrang gegeben wird; der Position der Partei, die ein religiöses Symbol trägt oder der Position des Gerichts, das religiöse Neutralität als Ausdruck der Säkularität verlangt.
Es wird schwierig sein, sich eine Situation vorzustellen, in der das Verbot des Tragens religiöser Symbole unter die Verletzung der Menschenrechte subsumiert werden könnte. Der rechtliche Aspekt beinhaltet nämlich nicht das religiöse Verständnis oder die religiöse Position des obligatorischen Kopftuchs oder anderer Merkmale, welche die breite Öffentlichkeit als religiöses Symbol ansieht. Juristisch ist es wichtig zu bestimmen, ob ein Merkmal objektivden symbolischen Wert der Religion verkörpert und ob die breite Öffentlichkeit darin eine religiöse Haltung, ein religiöses Symbol oder sogar ein religiöses Ritual zu erkennen vermag. Auch wenn man in manchen Situationen den symbolischen Gehalt bezweifeln und dem Gerichtspersonal das Tragen des Kopftuches erlauben würde, hat die Fatwa des Muftirates über das obligatorische Tragen des Hijab (im Februar 2016) jegliche Zweifel darüber entkräftet. Die Fatwa stellt fest, dass „der Hijab bzw. das Kopftuch, das Musliminnen tragen“ eine religiöse Pflichtsei und das Tragen in den Bereich der Ausübung der Religionfiele, ferner dass der Koran Musliminnen verpflichte, dem Prinzip der Wahrheit und Gerechtigkeit zu folgen, wenn sie urteilen. Mit anderen Worten bringt die Fatwa genau jene Gründe vor, warum das muslimische Kopftuch nicht in den Gerichten stehen sollte: Nach der Beschreibung der Fatwa stellt es nämlich ein Bekenntnis des Glaubens dar und sein Tragen würde jedes Mal den Gerichtssaal in direktester Weise als einen Ort ausnützen, in dem man sich zum Glauben bekennt. Das Tragen eines Kopftuches ist kein Recht, sondern eine Verpflichtung, mit der man in den Gerichten der eigenen Religion entge genkommen würde. Mitarbeiter, die es tragen, wären der Fatwa zufolge am ehesten dem Koran verpflichtet. So werden in der Fatwa alle jenen Gründe angeführt, die einen säkularen Staat dazu veranlassen sollten, das Tragen des Kopftuchs als Symbol des Glaubens in seinen Gerichten nicht zu erlauben. Die betroffenen Personen müssen vor die Wahl gestellt werden: Abkehr vom religiös motivierten Tragen des Kopftuchs oder Ausscheiden vom Arbeitsplatz im Gericht. Juristische Stimmen könnten eine gewisse Ordnung in die Diskussion bringen, die in der Medienlandschaft von BiH ein typisch rechtliches Problem typischerweise auf das religiöse Problem reduziert und mit jedem neuen Austritt eines Hijab-Anhängers das Motiv und das Konzept des religiös neutralen öffentlichen Dienstes in Frage stellt.
Edin Šarčević